Gudrun Lerchbaum: Wo Rauch ist
Die deutschen Proteste gegen den Rechtsruck wirken über die Landesgrenzen hinaus: Diesen Freitag soll es in Wien eine große Demo gegen Rechtsextremismus und Rassismus geben. Österreich? Dort gilt die FPÖ längst als etablierte Partei. Der Normalzustand mit rechten Politikern und Beamten in Verantwortung: Dieses Thema ist im Krimi „Wo Rauch ist“ omnipräsent. Der Roman bietet neben präzisen Schilderungen aber viel mehr – beste Krimiunterhaltung!
Rechtes Gedankengut und die hohen Zustimmungswerte für die FPÖ beschäftigen die in Wien geborene Autorin seit Jahren: In ihrem 2016 erschienenen Buch „Lügenland“ entwirft sie sogar den Alptraum eines repressiven Regimes, geführt von einem rechtspopulistischen Bundeskanzler. So weit geht sie im Krimi „Wo Rauch ist“ nicht. Das 2018 vom Argument Verlag (ariadne) veröffentlichte Buch spielt in der Gegenwart und ist keine Dystopie. Allerdings richtet der Rechtspopulismus auch in der Jetzt-Zeit gravierenden Schaden an – das schildert dieser Krimi eindrucksvoll. Und mit viel Witz!
Toter Journalist und kämpferische Ex-Frau
Lerchbaum lässt in ihrem Krimi ein überzeugendes Trio auftrumpfen: Olga, Adrian und Kiki. Die an Multiple Sklerose erkrankte Olga beklagt den Tod ihres Ex-Mannes Can Toprak. Der Journalist war ihr zwar untreu gewesen, dennoch blieb die Verbindung bestehen. Auf der Beerdigung tischt Cans Schwester Merve die offensichtliche Lüge auf, dass ihr Bruder an einer allergischen Reaktion gestorben sei. Das befeuert Olgas Interesse: Sie will wissen, woran Can tatsächlich gestorben ist.
Nach der Beerdigung wartet die Wienerin vergeblich auf ihren Assistenten, den sie aufgrund ihres körperlichen Zustands dringend benötigt. Der Trauerredner Adrian bietet sich an und schiebt die Rollstuhlfahrerin. Der harmoniesüchtige Adrian und die streitlustige und erfahrene linke Aktivistin Olga: Die private Ermittlungsgruppe formiert sich!
Adrians Ex-Freundin gesellt sich hinzu und wird Olgas neue Assistentin. Eine interessante Figur: Sie saß jahrelang in Haft, weil sie auf offener Straße einen Bankbeamten niedergestochen hatte. Lerchbaum hebt diese Figur zusätzlich hervor, indem sie Kiki im Du-Stil erzählen lässt. Geschickt wechselt die Autorin in vergleichsweise kurzen Kapiteln, die schlicht mit Olga, Adrian und Kiki überschrieben sind, die Perspektiven.
Woran ist Can nun gestorben? Olga entwickelt vielfältige Theorien.
Türkischer Geheimdienst und österreichische Rechte
Es stellt sich heraus, dass Can nicht an einem allergischen Schock starb: Er wurde mit einer Krawatte stranguliert – eindeutig Mord. Wie ernst die Sicherheitsbehörden den Fall nehmen, wird rasch deutlich. Chefinspektorin Neumeyer vom Bundeskriminalamt und Major Czermak vom Verfassungsschutz statten Olga einen Besuch ab. Aufgrund ihrer linksradikalen Vergangenheit haben die Behörden Olga als Verdächtige auf dem Zettel.
Olga leidet zwar stark unter ihrer Erkrankung, ihr Gehirn läuft aber auf Hochtouren. Die zahlreichen Joints, die sie aus gesundheitlichen Gründen raucht, ändern nichts an ihrer rasanten Auffassungsgabe. Oder verstärkt das THC ihre Paranoia, unter der sie als ehemalige RAF-Sympathisantin sowieso leidet? Überall MIT und Nazis?
Ihre Theorien klingen jedoch plausibel. Der Journalist Can befasste sich mit den möglichen Verbindungen zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT und europäischen Nazis. Ein brisantes Thema: Es ist durchaus realistisch, dass hier die Täter zu suchen sind. Olga zweifelt aber, dass der österreichische Staat in diese Richtung ermitteln wird:
„Jetzt zeigen Sie mir, dass die Staatsgewalt noch was anderes drauf hat, als Leute zu schikanieren und die Mächtigen zu schützen.“
Gudrun Lerchbaum: Wo Rauch ist, S. 81
Österreichische Rechte und Erdogan: Es ist zum Verzweifeln
Lerchbaum entspinnt in „Wo Rauch ist“ eine spannende Kriminalgeschichte, die durch einen weiteren Pluspunkt gefällt: Die Story mag erfunden sein, aber sie ist nah an der Realität. Die Autorin schildert die Protagonisten auf der türkisch-islamistischen Seite ebenso nachvollziehbar wie den rechten österreichischen Innenminister.
In einer Szene schildert die Schriftstellerin auch plastisch, wie sich die Regierungsbeteiligung der FPÖ auswirkt. So lässt sie die Chefinspektorin Neumeyer sagen:
„Es ist aus dem Ruder gelaufen, auch bei uns, seit… Aber nicht alle Polizisten sind rechts…“
Gudrun Lerchbaum: Wo Rauch ist, S. 118
Ein trauriges, aber glaubwürdig geschriebenes Highlight ist die Fernsehansprache des Innenministers. Nach einem Anschlag auf einen Friseursalon, bei dem die Täter das Gebäude mit einem gesprayten Hakenkreuz und „Türken raus“ markieren, lässt der Politiker seinem Rassismus freien Lauf und ruft die „ausländischen Gäste“ (S. 205) zur Ordnung. Eine Tirade gegen die Antifa-Bewegung rundet die typischen Einlassungen von Rechtspopulisten ab.
Anschlag auf ein türkisches Geschäft? Das ruft Erdogan auf den Plan, der von Österreich als „Zentrum des Rassismus in Europa und ewigen Nazis-Staat“ spricht (S. 202).
„Wo Rauch ist“ schildert präzise die politische Gegenwart
Lerchbaum zeichnet ein Bild, das auch heute aktuell ist: Aufgeklärte Menschen mit Verstand und Herz werden von Reaktionären aller Art in die Zange genommen. Seien wir wie Olga und lassen uns unseren Kampfesmut nicht nehmen: Die Demos in Deutschland und am Freitag in Wien sind ein guter Anfang!
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Meine Rezension basiert auf dieser Ausgabe:
Gudrun Lerchbaum: Wo Rauch ist, 2018, Argument Verlag (Taschenbuch), 285 Seiten
Weiterführende Informationen und Lesetipps:
- Anlässlich der Großdemonstrationen in Deutschland fragen die beiden Autorinnen Irene Brickner und Colette M. Schmidt im „Standard“, warum die österreichische Gesellschaft das Wirken der FPÖ weitgehend ohne Proteste hinnimmt. Eine lesenswerte Analyse!
- Thomas Rammerstorfer beschäftigt sich schon lange mit türkischen Nationalisten und Islamisten in Österreich. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Furche“ geht er unter anderem auf die Symbiose zwischen türkischem Nationalismus und Islamismus sowie Überschneidungen zwischen Islamisten und europäischen Rechtsextremen ein.