Iain Levison: Hoffnung ist Gift

Iain Levison: Hoffnung ist Gift

Die politisch interessierte Öffentlichkeit blickt momentan in die USA und verfolgt den politisch kalkulierten Irrsinn, den Trump, Musk und Co. fabrizieren. Irrsinn? Diese Beschreibung passt auch auf Teile des US-amerikanischen Justizsystems, wie uns Iain Levison in seinem 2012 beim Paul Zsolnay Verlag veröffentlichten Kriminalroman „Hoffnung ist Gift“ vor Augen führt.

Ein Taxifahrer bringt in Dallas im US-Bundesstaat Texas eine Frau nach Hause und begleitet sie kurz in das Hausinnere, weil sie nicht genügend Geld bei sich hat. Ein fataler Fehler: Wenig später beschuldigen ihn die Ermittlungsbehörden der Kindesentführung und er findet sich im Todestrakt eines Gefängnisses wieder.

Dieser Roman von Iain Levison ist ein zeitloser Klassiker. Leider gibt es die deutschsprachige Version momentan nicht mehr in gedruckter Form, ich greife für meine Rezension auf eine alte Büchergilde-Ausgabe zurück. Der Hanser Verlag bietet „Hoffnung ist Gift“ aber als E-Book an.


„Hoffnung ist Gift“ von Iain Levison bei Thalia als E-Book kaufen.1


Kriminalroman aus Sicht eines Justizopfers

Fiktion und Wirklichkeit liegen manchmal nahe beieinander: So irrwitzig die ausgedachte Geschichte von Iain Levisons Taxifahrer Jeff Sutton klingt, so realistisch ist sie. Der US-Schriftsteller orientiert sich an einem realen Fall. Die Widmung für Richard Ricci verweist darauf. Bei ihm handelte es sich um einen unschuldig Inhaftierten, der 2003 in Salt Lake City aufgrund einer Kindesentführung festgenommen wurde.

Hoffnung ist Gift“ als E-Book bei Zsolnay/Hanser, erschienen 2012

Ricci arbeitete als Gärtner im Elternhaus der entführten 14-jährigen Elizabeth Smart, die Polizei hatte den Vorbestraften sofort im Visier. Die Medien eskalierten. Eine TV-Journalistin sehnte in der bekannten Larry-King-Show gar den Einsatz von Foltermethoden herbei, um den Beschuldigten zum Reden zu bringen. Einen Gesprächsausschnitt aus dieser Sendung stellt Levison seinem Krimi voran. Auf die Frage eines Anrufers beklagt Nancy Grace:

Ich wünschte, es wäre so, Larry! Unter unserer Verfassung ist das aber leider nicht erlaubt. Kein Natriumpentothal, keine Wahrheitsdrogen, kein Schlagen, keine Folter.

Iain Levison: Hoffnung ist Gift, S. 13

Reaktionäres Gedankengut, das Trump nun erfolgreich mobilisiert, gab es bereits in den frühen 2000ern.

Iain Levison hält dem einen klug geschriebenen Kriminalroman entgegen – ein Plädoyer für den Rechtsstaat! Aus der Ich-Perspektive lässt er seinen Protagonisten die kaum zu fassenden Ereignisse erzählen, die Aussichtslosigkeit seiner Situation.

„Hoffnung ist Gift“: Polizei und Justiz brauchen einen Schuldigen

Der Taxifahrer Jeff Sutton schlägt sich durchs Leben. Sein Alltag ist geprägt von Routine: In langen Schichten kurvt er Fahrgäste quer durch Dallas, an freien Tagen besucht er den Waschsalon und danach mit einem Arbeitskollegen eine Kneipe. Sein soziales Leben ist überschaubar, die Tage und Wochen vergehen ereignisarm.

Das Taxifahren macht mich kaputt. Wortwörtlich. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hinter dem Lenkrad sitzen, den ganzen Tag ohne Bewegung, davon sind meine einst so kräftigen Beine ganz verkümmert und dürr geworden.

Iain Levison: Hoffnung ist Gift, S. 25

Bereits diese Schilderungen zu Beginn des Romans lesen sich spannend: Jeff Sutton ist eine intelligente Person, die sein Leben ständig und detailliert reflektiert. Und dies alles mit einem lakonischen Witz, den er auch in Verhörräumen, im Gerichtssaal und im Todestrakt nicht verlieren wird.

Ausgerechnet in der Todeszelle findet sich zum ersten Mal ein offizieller Vertreter des Staates, der sich um meinen Gesundheitszustand zu kümmern scheint.

Iain Levison: Hoffnung ist Gift, S. 65

Intelligent, reflektiert und zugleich widerstandsfähig: Jeff Sutton versucht auch in auswegloser Situation, im Rahmen begrenzter Möglichkeiten selbstbestimmt zu bleiben. „Hoffnung ist Gift“: Der Titel des Buchs ist sein Motto im Gefängnis. Wissend, dass jede Hoffnung trügerisch ist und zu quälendem Leiden führt. Entsprechend verweigert er sich der Hoffnung und geht davon aus, dass er keine Chance hat.

Nicht die Langeweile und Ungerechtigkeit und Frustration bringen dich um, sondern die Hoffnung. Hoffnung ist Gift. Hoffnung frisst dich auf. Hoffnung ist wie ein Abflussreiniger.

Iain Levison: Hoffnung ist Gift, S. 87

Ihm ist schnell klar: Polizei, Staatsanwalt und das Gericht stehen bei diesem spektakulären Kriminalfall unter Druck. Sie benötigen einen Schuldigen, nicht den Täter. Sie müssen jemanden verurteilen, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Jeff Sutton, der einsame Taxifahrer, bietet sich hierfür hervorragend an.

Gerechtigkeit, nirgends: Die Wahrheit interessiert nicht

Iain Levison stellt das US-amerikanische Polizei- und Rechtssystem in seinem Krimi als zutiefst grotesk dar. Die Indizien- und Beweislage gegen Jeff Sutton ist dünn, sie reicht für keine Verurteilung. Es dürfte gar nicht zur Anklage kommen.


Besucht auch meinen Blog „Hoffnung, doch. Einblicke in den anderen Osten“. Die Situation in Ostdeutschland mag dramatisch sein, Hoffnung ist dennoch berechtigter als in einem texanischen Todestrakt.


Egal. Die Akteure legen sämtliche Sachverhalte gegen den Taxifahrer aus, die Verhöre und der Gerichtsprozess sind eine Farce. Der Pflichtverteidiger reiht sich perfekt ein. Er geht von der Schuld seines Mandanten aus, zeigt keinerlei Motivation und scheint zusätzlich überfordert zu sein.

Die Lage für Jeff Sutton: aussichtslos.

In der Todeszelle harrt er seinem Gerichtsprozess, später wird er aus diesem Zellentrakt ins Gericht gefahren. Sein Aufenthalt bei den zum Tode Verurteilten ist Sicherheitsgründen geschuldet, die Mitgefangenen im normalen Gefängnisbereich könnten einen wegen Kindesentführung Angeklagten misshandeln. Den Bewohnern des Todestraktes ist das gleichgültig. Jeff Sutton ist froh, seine Zeit dort zu verbringen. Froh, aber hoffnungslos.

Hoffnung, doch? Überraschend besucht Inspector Watson von der Polizeidienststelle Waco den Inhaftierten. Der Polizist hat zwei Jahre zuvor eine versuchte Kindesentführung untersucht, konnte dem Hauptverdächtigen aber nichts nachweisen. Und ist jetzt überzeugt, dass dieser Verdächtige hinter dem aktuellen Entführungsfall steckt.

Die kafkaeske Situation mit feinem Humor geschildert

Kann Inspector Watson den Taxifahrer aus seiner misslichen Situation befreien? Angesichts des Furors, mit dem die Staatsanwaltschaft Jeff Sutton verurteilen will, bestehen Zweifel. Erschwerend kommt hinzu, dass in Texas ein Jury-Gericht das Urteil fällt. Jeff Sutton hat schlechte Karten. Ein Mithäftling bringt es auf den Punkt:

„Mach dir keine Hoffnung“, sagt er. Du bist nichts weiter als ein Zirkuspferd in einer Show.“

Iain Levison: Hoffnung ist Gift, S. 83

Als Leserinnen und Leser sind wir vor allem eines: begeistert! Levison präsentiert uns einen melancholischen und zugleich witzigen Kriminalroman.


Diese Krimirezension basiert auf folgender Ausgabe:

Iain Levison: Hoffnung ist Gift, Büchergilde Gutenberg (Taschenbuch, Lizenzausgabe), 2012, 256 Seiten

In Printform gibt es dieses Buch nur noch antiquarisch, unter anderem bei:

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