Georges Simenon: Maigret und der gelbe Hund
Wenn ich an den legendären Kommissar Maigret denke, kommt mir sofort die Stadtbücherei Saulgau in den Sinn. Die Jugendzeit ist lange her, vieles ist verschwommen: Doch an die Maigret-Hardcover aus der städtischen Bücherei erinnere ich mich gut. Wie viele habe ich davon ausgeliehen? Ich weiß es nicht mehr. Irgendwas zwischen zwei und zehn, würde ich tippen.
Ich durchstöbere die Onleihe der Bibo Dresden. „Maigret und der gelbe Hund“ erscheint. Zwischen meiner letzten Maigret-Lektüre in Saulgau (mittlerweile mit „Bad“-Titel) und heute liegen rund 25 Jahre. Viel zu lange, schießt mir in den Kopf, bevor ich die erste digitale Seite gelesen habe. Maigret – ein Klassiker! Damals begeisterten mich die Bücher von Georges Simenon. Oder trügt meine Erinnerung? Oder erinnere ich richtig, aber mein damaliges Urteil war zweifelhaft?
Maigret ermittelt: bedächtig, effektiv und menschlich
Der gebürtige Belgier Simenon hat mit dem gemütlich agierenden, Pfeife rauchenden Kommissar Maigret eine der bekanntesten Figuren der Kriminalliteratur geschaffen. Zugleich war Simenon ein produktiver Schriftsteller, der seinen Maigret in insgesamt 75 Kriminalromanen ermitteln ließ. Beim vorliegenden Buch „Maigret und der gelbe Hund“ handelt es sich um ein Frühwerk, das 1931 als vierter Band unter dem Originaltitel „Le Chien jaune“ erschien. Die deutschsprachige Ausgabe veröffentlichte der Verlag SVA drei Jahre später.
In diesem Werk zeigen sich exemplarisch die Grundzüge der Hauptfigur Maigret: Der bedächtige Kommissar analysiert detailliert die Menschen, er interessiert sich für die psychologischen Hintergründe und Motive. Das Recht biegt er im Zweifelsfall: Er versteht sich nicht als Vertreter des Strafrechts, sondern als Vertreter der Menschlichkeit. Der manchmal kauzige Beamte ist ein Humanist, der auch in turbulenter Umgebung die Ruhe bewahrt.
Turbulent geht es in der bretonischen Kleinstadt Concarneau wahrlich zu: Diverse Vorfälle versetzen die Würdenträger, die sich häufig im Café L’Amiral zum Stammtisch treffen, in Angst und Schrecken. Das erste Opfer ist der Weinhändler Mostaguen, der angeschossen wird. Es folgen weitere Anschläge, ein Mensch stirbt, ein anderer Mensch verschwindet. Offenbar hat es der Täter auf alle Teilnehmer der Stammtischrunde abgesehen.
Die einzigen Indizien: Abdrücke der Stiefelgröße 46 und ein gelber Hund, den mehrere Zeugen gesichtet haben.
Leser merken dem Roman an, dass Simenon ihn vor über 90 Jahren geschrieben hat. Die Sprache und die Geschichte klingen manchmal etwas angestaubt. Zugleich hat der Krimi nichts von seiner Aktualität verloren: Die Medien eskalieren – lange vor der Digitalisierung und sozialen Netzwerken. Der große gelbe Hund garantiert attraktive Schlagzeilen und überregionale Aufmerksamkeit. Aus Paris reisen zahlreiche Journalisten an und versammeln sich im Café L’Amiral, dem zentralen Handlungsort dieses Maigret-Krimis.
Die Stimmung ist aufgeregt: Der kürzlich in die Bretagne versetzte Kommissar Maigret fungiert in dieser Szenerie als Ruhepol. Erst seit einem Monat arbeitet er bei der mobilen Brigade der Gendarmerie nationale in der Bretagne, doch auch auf ungewohntem Terrain behält der Kommissar seine Souveränität. Während die Einheimischen in Panik geraten und die Journalisten Hektik verbreiten, hat Maigret alles unter Kontrolle. Und zwar auch dann schon, als er noch nicht den Eindruck vermittelt. Simenon offenbart erst am Ende, dass Maigret die Geschehnisse lange vor dem unwissenden Leser durchschaut hat.
Es ist nicht so, wie es scheint. Es gibt keinen Grund, Jagd auf einen gelben Hund zu machen. So viel sei verraten. Maigret löst diesen Fall – und folgt am Ende seinem Motto: Menschlichkeit vor Recht.
Fazit: angestaubt, zeitlos, gut
Die Lektüre dieses Maigret-Krimis bereitet Freude: Simenon war ein Meister seines Fachs. Beim Lesen fällt auf, dass das Werk aus einer vergangenen Zeit stammt. Spätestens, wenn Journalisten aus dem Café L’Amiral ihre Berichte telefonisch in die Hauptstadt durchgeben. Auch der dem Genuss zugeneigte, stets Pfeife rauchende Maigret ist eine Figur aus dem letzten Jahrhundert. Dennoch: Dieser Krimi mit seiner unverhohlenen Medienkritik ist zeitlos. Schön auch, wie der Kommissar gegenüber dem örtlichen Bürgermeister auftritt. Von Autoritäten lässt sich Maigret nichts sagen – unbeirrt klärt er die Verbrechen in diesem beschaulichen Küstenort auf.
Das große Aber: Simenon, der Antisemit
Der Blick auf dieses Buch und insgesamt das Werk Simenons trübt sich jedoch bei einem genaueren Blick auf den Autor: Wie ich erst bei der Recherche zu dieser Rezension festgestellt habe, fiel Simenon mit seiner antisemitischen Haltung negativ auf. Auch in einzelnen Maigret-Bänden lässt er seinem Antisemitismus freien Lauf, wie Norman Lebrecht 2014 unter der Überschrift „Maigret und die Juden“ in der Jüdischen Allgemeinen dargelegt hat.
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Dieser Rezension liegt folgende Ausgabe zugrunde:
Georges Simenon: Maigret und der gelbe Hund, 2019, Kampa Verlag (E-Book), 192 Seiten