John Galligan: Bad Axe County

Dieser Krimi aus Wisconsin erschreckt, berührt, beeindruckt: John Galligan zeigt eine Region, in der Misogynie genauso wie Baseball fester Bestandteil der Gesellschaft sind. Noch mehr: Misogynie und der männlich geprägte Baseballsport sind eng miteinander verwoben. Sheriff Heidi Kick ist die erste Frau in diesem Amt – offenbar ist die weibliche Perspektive unverzichtbar, um die (strafrechtlichen) Dimensionen dieser Problematik zu erkennen und konsequent dagegen vorzugehen.

Sexuelle Gewalt, Frauenhandel und Co.: Diese Themen stehen im Zentrum des Krimis „Bad Axe County“, der im Original 2019 erschienen ist und die Reihe um die traumatisierte und zugleich taffe Heidi Kick einleitet. Der Stuttgarter Polar Verlag, der vielfältige hochwertige Krimis aus den USA veröffentlicht, macht diesen Roman nun auch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich.

(c)Polarverlag

Misogynie und Emanzipation: Sheriff Heidi Kick in Aktion

Das Amt des County-Sheriffs ist in Wisconsin ein Wahlamt: Die Polizistin Heidi Kick gelangt aber nicht per Wahl, sondern überraschend und interimsweise in diese Funktion. Ihr korrupter und selbstherrlich agierender Vorgänger ist verstorben, der County-Rat beruft Heidi vorübergehend in dieses Amt. Ob sie bei der anstehenden Wahl antritt, steht noch in den Sternen:

War sie überhaupt geeignet, Sheriff des Bad Axe Countys zu sein?

John Galligan: Bad Axe County, S. 388

Vermutlich haben sich ihre männlichen Vorgänger diese Frage nie gestellt. Auch ihr interner Konkurrent – Lund – dürfte noch nie an seiner Kompetenz gezweifelt haben. Dabei liegt seine Stärke woanders: Er agiert als Meister des Machtmissbrauchs.

Heidi ergeht sich dagegen in Selbstzweifel, die nicht vollständig unberechtigt sind: Als junge Frau und damals amtierende Dairy Queen (Botschafterin für die lokale Milchwirtschaft) muss sie den Tod ihrer Eltern verkraften. Laut Polizei ein erweiterter Suizid, ihr Vater soll seine Frau und anschließend sich getötet haben.

Heidi glaubt nicht an diese Version. Der Tod ihrer Eltern hat sie damals aus der Bahn geworfen. Ihr Leben hat sie längst wieder in den Griff bekommen, zusammen mit ihrem Ehemann und ihren Kindern wohnt sie auf einer idyllisch gelegenen Farm. Auch beruflich reüssiert sie. Doch die damalige Tat lässt sie nicht los, sie ist zweifelsohne traumatisiert. Das nimmt gefährliche Ausmaße an, ihre Tötungsfantasien erschrecken:

Sie löste ihre Ruger, trat die Tür auf und feuerte, feuerte und feuerte wieder, und verteilte sein Zombiegehirn über die Wand.

John Galligan: Bad Axe County, S. 263

Trotz dieser psychischen Herausforderungen wird sie zum Alptraum all jener Männer, die Frauen als Sexualobjekt sehen. Galligan beschreibt eine Region, in der die Mitglieder des Baseballteams wie selbstverständlich sexuelle Gewalt ausüben. Der Missbrauch als Ritual, Frauen als Beiwerk. Er schildert auch den florierenden Frauenhandel in Wisconsin. Die Großstadt Milwaukee gilt als „Harvard des Sexhandels“, wie Galligan gegenüber dem Polar Verlag erklärt.

Heidi kämpft wütend und kompromisslos gegen die gesellschaftlichen Zustände, gegen die „Männerunterwelt im Bad Axe“ (S. 244) : Manche wie ihre Mitarbeiterin Denise und ein Ratsmitglied unterstützen sie, andere behindern sie oder posten in sozialen Netzwerken Hassbotschaften.

Jerry Myad: @DieBesteVerteidigung

@BadAxeCountySheriff sollte nicht erlaubt werden, noch mehr kleine Feminazis in die Welt zu setzen #dairyqueen #jagdsaison #weisstduwodeinekindersind

John Galligan: Bad Axe County, S. 283 (Galligan stellt diese Postings den einzelnen Kapiteln voran)

All dies findet in einer atemberaubenden Landschaft statt: Die Coulee Region zeichnet sich durch schmale Bergrücken, steil abfallende Hänge, tief gelegene Täler und viele Gewässer aus. Der aufziehende Eissturm passt zur Thematik: Schnee, Regen, Sturm und später das Tauwasser bedrohen die Gegend. Das unkontrollierbare Unwetter unterstreicht die düstere Atmosphäre dieses Krimis, in dem Heidi auch das Urvertrauen in ihren Mann verliert.

Die Coulee Region in Wisconsin: landschaftlich einzigartig, politisch interessant

Der Titel des Krimis ist auch der Handlungsort: Bad Axe County. Gibt es dieses County wirklich? Diese Frage liegt nahe. Im Interview mit dem Polar Verlag erläutert John Galligan:

Bad Axe County ist eine fiktive Region an einem realen Ort.

Interview mit John Galligan auf der Homepage des Polar Verlags.

Die Betonung verdient hierbei das Reale: Der Autor arbeitet mit einer leichten Verfremdung, die genannten Städte wie Farmstead existieren nicht. Allerdings hieß das real existierende Vernon County im 19. Jahrhundert Bad Axe County, dort fließt auch der Bad Axe River als Nebenfluss des Mississippi. Zugleich erwähnt Galligan das im Süden gelegene Crawford County, aus dem Heidi stimmt – auch in der Wirklichkeit grenzt es an das Vernon County.

Kurzum: Trotz Verfremdung können sich Leserinnen und Leser auf eine realistische Beschreibung der beeindruckenden Landschaften und der örtlichen Bevölkerung verlassen. Vor allem gesellschaftlich-politische Aspekte verdienen einen genaueren Blick: Bei der Lektüre dieses Krimis dürften viele an eine typische Redneck-Gegend und eine Hochburg fanatischer Trump-Fans denken.

Strukturell würde einiges dafür sprechen: So liegt der Anteil von Weißen an der Bevölkerung bei über 95 %. Die Region ist zugleich dünn besiedelt, die größte Stadt des Vernon County zählt 4.500 Menschen. Viele Bewohner leben in Armut und schlagen sich mit selbstständiger Tätigkeit, Hilfsjobs oder Kriminalität durchs Leben. Beste Voraussetzungen für Trump.

Trump-Hochburg? Wir befinden uns in Wisconsin mit seiner spezifischen politischen Geschichte und Gegenwart! Rednecks prägen diese Gegend zwar mit, lange Zeit dominierten jedoch die Demokraten das Vernon County und die gesamte Region. Diese ländliche Region gehört aber auch zu den Gebieten, in denen Trump 2016 und 2020 überdurchschnittlich große Zuwächse erzielt hat. Ein Blick auf die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen im Vernon County zeigt diesen Wandel:

	Demokraten	Republikaner
2020	46,83 %	51,61 %
2016	44,63 %	49,06 %
2012	56,37 %	41,64 %
2008	60,13 %	38,13 %

Bad Axe County: gesellschaftlich relevant und lesenswert

Spätestens seit der MeToo-Bewegung ist das Thema Misogynie omnipräsent: Der gesellschaftliche Fortschritt geht aber mit reaktionären Gegenbewegungen einher, die Incel-Bewegung belegt das in erschreckender Deutlichkeit. Umso wichtiger ist es, sämtliche Facetten dieser Problematik auszuleuchten. John Galligan gelingt dies in seinem Krimi „Bad Axe County“ grandios und auf unterhaltsame Weise: Auch wenn der geschilderte Umgang mit Frauen teilweise schwer zu ertragen ist.

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„Bad Axe County“ von John Galligan bei Thalia kaufen.¹ In der lokalen Buchhandlung oder beim Verlag.

Diese Krimi-Rezension basiert auf dieser Ausgabe:

John Galligan: Bad Axe County, 2024, Polar Verlag (Taschenbuch), 432 Seiten

Weiterführende Lesetipps und Informationen:

• Der Polar Verlag präsentiert seine Bücher ausführlich und in liebevoller Form. Auf der Homepage finden sich unter anderem ein Interview mit John Galligan und eine speziell für diesen Krimi zusammengestellte Playlist.
• Im umfangreichen Nachwort geht Sonja Hartl insbesondere auf die Verbindung von Sport und Misogynie ein. Sie thematisiert zum Beispiel den Fall des US-Baseballers Trevor Bauer.
• Die MeToo-Bewegung sensibilisierte für Themen wie sexuelle Gewalt – längst gibt es aber auch einen stärker werdenden Antifeminismus. Mit dieser Problematik beschäftigt sich die Amadeu-Antonio-Stiftung detailliert.

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