Joe R. Lansdale: Wilder Winter
Mit „Wilder Winter“ leitete der US-amerikanische Autor Joe R. Lansdale 1990 seine legendäre Hap+Leonard-Reihe ein. Anarchischer Humor aus einer anderen Zeit: Die beiden schlagkräftigen Südstaatler mischen East Texas auf.
Die Geschichten rund um die beiden Gelegenheitsarbeiter Hap und Leonard leben vom Kontrast dieser beiden Hauptfiguren, Hap symbolisiert einen typischen Weißen, der Ende der 1960er an einer Uni und in der Anti-Kriegsbewegung sozialisiert wurde. Der Afroamerikaner Leonard sprengt dagegen alle Klischees. Er steht offen zu seiner Homosexualität und schwankt zwischen Desinteresse an Politik und konservativen Ansichten. In einem späteren Band der Hap+Leonard-Reihe bekennt er sich zu den Republikanern.
Zwei Zitate belegen eindrücklich, dass Leonard und Hap in zwei verschiedenen Gedankenwelten leben. Diese beiden Äußerungen fallen, als Leonard die Mitstreiter in dieser Geschichte kennenlernt. Bis auf Leonard sind alle Beteiligten in der Linken der 60er sozialisiert, das wird dem Nicht-Akademiker mit großem Mundwerk zu viel:
„Keine Politik (…), davon kriege ich Herzrhythmusstörungen.“
Joe R. Lansdale: Wilder Winter, S. 40
„Dieser Analysescheiß mag ja für einen Hohlkopf wie dich ganz okay sein, aber wenn du mir noch einmal damit kommst, kannst du erleben, wie ich ein bisschen Dampf ablasse.“
Joe R. Lansdale: Wilder Winter, S. 66
Hap und Leonard: unterschiedlich und unzertrennbar
Auch charakterlich sind die beiden Gegensätze. Während Hap stets zu vermitteln sucht, agiert Leonard aggressiv und mit großer Klappe. Der ungehobelte Wortbeitrag ist neben dem Boxen die große Stärke des Vietnam-Veteranen. Er schreckt auch nicht vor sexistischen Äußerungen zurück. Mangelndes Feingefühl kennzeichnet ihn – und ein überbordendes Selbstbewusstsein:
„Wenn ich eine Beziehung mit einem richtig tollen Mann wollte, wäre ich vermutlich meine erste Wahl. Aber mein Schwanz ist dafür ein paar Zentimeter zu kurz. Ich spür ihn gern bis zur Leber rauf.“
Joe R. Lansdale: Wilder Winter, S. 80
Hap und Leonard verbindet trotz aller Gegensätze eine tiefe Freundschaft, wenngleich diese häufig die Züge einer Hassliebe annimmt. Eine Gemeinsamkeit sind die Lebensumstände: Beide halten sich mit Gelegenheitsjob knapp über Wasser, in „Wilder Winter“ arbeiten sie tageweise auf Rosenfeldern. Momentan liegen aber keine Aufgaben an, das Geld wird noch knapper. Trudy – die Ex-Frau von Hap – erscheint zum richtigen Zeitpunkt: Wenn sich Hap und Leonard auf ihren Vorschlag einlassen, winkt ein riesige Geldsumme!
Turbulente Schatzsuche im spannungsreichen Team
Der Vorschlag von Trudy klingt verlockend: In einem Fluss in den Bottoms soll sich die Beute eines Bankraubs befinden. Das hat Trudys zweiter Ex-Mann Howard im Gefängnis von einem beteiligten Räuber namens Softboy erfahren. Dieser macht daraus kein Geheimnis – er hat sogar versucht, die Polizei zu diesem Ort hinzuführen. Er erinnert sich aber nicht an die exakte Stelle, die bisherigen Suchen blieben erfolglos. Hier kommt Hap ins Spiel: Er ist in den Bottoms aufgewachsen und kennt sich in dieser dschungelartigen Landschaft mit vielen Gewässern aus.
Trudy, Hap und der störrische Leonard beginnen mit der Schatzssuche – im Team mit Howard und zwei seiner altlinken Mitstreiter, die seit den 1960ern mit terroristischen Mitteln im Untergrund agieren. Eine explosive Mischung! Es folgt eine Abenteuergeschichte in der beeindruckenden Landschaft des östlichen Texas. Überraschende Wendungen, viel Gewalt und zahlreiche witzige Dialoge. Und politischen Einschätzungen. Mitstreiter Chub meint:
„Wir müssen unbedingt was tun. (…) Dieses Land ist auf dem besten Weg in den Faschismus.“
Joe R. Lansdale: Wilder Winter, S. 157
Lässt Lansdale seine Figur 1990 sagen. 34 Jahre später hat Donald Trump trotz Sturm auf das Kapitol Chancen, erneut in das Weiße Haus einzuziehen.
„Wilder Winter“ von Lansdale: Lesespaß für Hartbesaitete
Der in East Texas beheimatete Joe R. Lansdale ist ein ungewöhnlicher Autor: Er bewegt sich sicher in vielfältigen Genres wie Fantasy, Horror, historische Romane und Krimi. Dieses Genre-Übergreifende hat vermutlich auch dazu geführt, dass der Golkonda-Verlag in München die Hap+Leonard-Bücher ab 2014 neu aufgelegt hat. Der Golkonda-Verlag konzentriert sich auf Phantastische Literatur und Science Fiction: „Wilder Winter“ von Lansdale und die Folgebände fallen inhaltlich aus dem Raster.
Es ist begrüßenswert, dass der Verlag diese Bücher erneut in deutscher Sprache verfügbar gemacht hat (deutsche Erstauflage dieser Reihe beim Shayol Verlag sowie DuMont). Allerdings war die Auflage gering, heute sind alle Versionen des Buches vergriffen.
Die Suche nach gebrauchten Ausgaben zahlt sich aber aus: Mit beeindruckendem Witz erzählt Lansdale spannende Geschichten und zugleich von einer großen Freundschaft. Die sexistischen Kommentare – vor allem von Leonard – und die häufig harte Sprache mögen abschrecken. Unterhaltsam und lohnenswert ist die Lektüre dennoch!
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„Wilder Winter“ von Joe R. Lansdale als gebrauchtes Buch bei Medimops kaufen.1 Wer dieses Buch in englischer Sprache lesen will, verfügt über eine größere Auswahl. Der Titel des Originals lautet „Savage Season“, Händler wie Thalia bieten die Ausgabe als Taschenbuch und sehr preiswertes E-Book an.2
Diese Rezension basiert auf folgender Ausgabe:
Joe R. Lansdale: Wilder Winter, 2008, Golkonda-Verlag (Taschenbuch), 208 Seiten
Weiterführende Informationen und Lesetipps:
- 2016 vor der Präsidentschaftswahl veröffentlichte Lansdale im Texas Observer eine prägnante Analyse zur politischen Stimmungslage. Er vertritt die These, dass „Frankenstein“ Trump kein neues Phänomen sei. Sondern der Höhepunkt einer langen Entwicklung der Republikanischen Partei und deren Wählerschaft: Why My East Texas Neighbors Are Voting For Trump
- Die Hap+Leonard-Reihe habe ich in meine 5 Krimitipps zur US-Wahl 2024 aufgenommen.