Simone Buchholz: Beton Rouge

Simone Buchholz: Beton Rouge

Wer St. Pauli liebt, liebt die Krimis von Simone Buchholz. Ich liebe St. Pauli – die Bücher der in Hamburg lebenden Schriftstellerin gehören deshalb zu meiner Pflichtlektüre. Als Fan des FC St. Pauli wandele ich mehrmals im Jahr durch diesen überregional bekannten Stadtteil – stets fernab der Reeperbahn. Denn: St. Pauli ist weitaus mehr als Rotlichtmeile! Es ist ein liebenswertes Kleinod, in dem sich verlorene Seelen aus der ganzen Welt treffen.

Simone Buchholz zeigt diese Welt in einer wundervoll poetischen Sprache. Sie ist ebenfalls Anhängerin des FC St. Pauli, die Namenswahl für Nebenfiguren wie Ippig und Lienen verdeutlicht das – vor allem ist sie eine grandiose Autorin, die einzigartige Liebeserklärungen an den Stadtteil schreibt. Auch „Beton Rouge“ als siebter Band der Chastity-Riley-Reihe erweist sich wieder als lesenswerte Milieuschilderung mit konsequent melancholischem Grundton. Zudem beweist Buchholz erneut, dass sie eine politisch denkende Schriftstellerin ist. Zu viel Veränderung im Stadtteil: Immer wieder prangert sie die Gentrifizierung an. Politische Haltung ist ihr auch jenseits ihrer Werke wichtig, so erhebt sie am 16. Januar 2024 bei einer Lesung in Hamburg ihre Stimme gegen Antisemitismus.

Öffentlich gedemütigte Manager: spektakuläre Kapitalismuskritik?

Ein Nackter im Käfig – öffentlich ausgestellt und offenbar von vorbeigehenden Mitarbeitern angespuckt. Staatsanwältin Riley und ihre Kollegen von der Polizei sehen sich mit einem außergewöhnlichen Fall konfrontiert. Schnell stellt sich heraus, dass sich jemand auf einem Rachefeldzug befindet. Ziel ist die Führungsetage eines Verlagshauses. Buchholz überschreibt ein Kapitel mit folgenden Worten: „Führungskräfte (Fuck all of you)“ (S. 50) Rächt sich ein aktueller oder ehemaliger Mitarbeiter für die Firmenpolitik? Etablierte Medienunternehmen befinden sich in der Krise, das erfordert aus Sicht der Manager harte Entscheidungen. Oben gegen unten.

Buchholz macht in diesem St.-Pauli-Krimi deutlich, wem ihre Sympathie gehört. Das Establishment ist es nicht! Sie stellt vielmehr das gesamte hierarchische Prinzip infrage. So lässt sie Riley sagen:

„Ich finde das Prinzip, dass einer der Chef ist und deshalb über andere bestimmen kann, grundsätzlich krank, aber mich fragt ja keiner.“

Simone Buchholz: Beton Rouge, S.69

Doch ist das naheliegende Motiv das tatsächliche? Eine andere Spur führt in die Vergangenheit der Opfer, Riley und ihr neuer Polizeikollege Ivo Stepanovic ergründen dieses Motiv bei einem gemeinsamen Ausflug nach Bayern. Von diesem Bundesland sind die beiden Wahl-Hamburger wenig begeistert. Stepanovic attestiert den Bayern eine „unverdünnte Mischung aus Misstrauen und Aggressivität“ (S. 122).

Ein St. Pauli-Krimi voller einsamer Seelen

Buchholz versammelt auch in diesem Band zahlreiche Figuren, die verloren wirken. Allen voran gilt das für die Staatsanwältin Riley und ihre Freunde Katsche, Carla und Rocco. Auch ihr Polizeipartner Calabretta tritt in „Beton Rouge“ wieder auf – aber nur in einer Nebenrolle. Dieses Mal arbeitet Riley mit Stepanovic vom LK44 zusammen. Zuerst beäugt sie ihn skeptisch. Doch später stellen sie fest, dass beide aus Frankfurt-Sachsenhausen stammen. Das verbindet. Und auch der LKA-Polizist scheint ein Suchender zu sein.

Es ist ein einmaliges Ensemble, das Buchholz in diesem Stadtteilkrimi aufbietet. In kurzen Kapiteln mit grandiosen Überschriften („Am Arsch die Toskana“, S. 119) entfaltet sie eine mitreißende melancholische Stimmung. Von Riley bis Calabretta: Diese Figuren passen auf St. Pauli!

Ausgezeichneter Krimi aus und für St. Pauli

Mit diesem Band der Riley-Reihe bestätigt Buchholz eindrucksvoll ihr Talent für Poesie. Diese Krimis stechen heraus: Regionalkrimis mit hohem literarischen Anspruch! Zugleich widmet sich die Autorin auf kreative und fundierte Weise ökonomischen und sozialen Themen. Den Stuttgarter Ebner Stolz Wirtschaftskrimipreis 2018 hat sie sich für dieses Werk redlich verdient!

Beton Rouge“ von Simone Buchholz hier bei Thalia kaufen. Oder im örtlichen Buchhandel.

Diese Rezension basiert auf folgender Ausgabe:

Simone Buchholz: Beton Rouge, 2017, Suhrkamp Verlag (Taschenbuch), 228 Seiten