Sara Paretsky: US-Krimiautorin mit politischem Anspruch

Sara Paretsky: US-Krimiautorin mit politischem Anspruch

Wer ist Sara Paretsky? Die US-Amerikanerin Sara Paretsky gilt als Ikone der feministischen Kriminalliteratur – das ist die kurze Antwort auf diese Frage. Sie verdient aber eine längere Antwort. Paretsky gehört zweifelsohne zu den wichtigsten internationalen Krimiautorinnen des 20. Jahrhunderts – und des 21. Jahrhunderts.

Seit den frühen 1980ern begeistert die Schriftstellerin mit ihren packend geschriebenen Krimis, in denen sie die Privatermittlerin V.I. Warshawski gegen Ungerechtigkeiten aller Art kämpfen lässt. Im Zentrum ihres Kampfes steht das Patriarchat. Das gilt für Warshawski und ihre Erfinderin Paretsky im selben Maße.

Wo beginnt bei Paretsky das Politische? Mit der Figurenzeichnung. Im Hardboiled-Bereich dominierten über Jahrzehnte männliche Detektive. Mit Vic Warshawski schuf Sara Paretsky Anfang der 1980er ein feministisches Gegenbild. Emanzipiert, unabhängig von Männern, keiner handgreiflichen Auseinandersetzung und keiner Schießerei aus dem Weg gehend. Gegenüber dem Deutschlandfunk Kultur erklärte sie ihre Motivation:

Ich wollte unbedingt eine Frau erschaffen, die wie ich und meine Freundinnen war, die einen Beruf ausübte, den es nicht gab, als wir aufgewachsen sind. Sie hat ein Sexleben, aber das bedeutet nicht, dass sie eine unmoralische Person ist. Und sie kann ihre eigenen Probleme lösen, muss nicht gerettet werden, sie muss kein Opfer sein, sie muss nicht ermordet werden.

Zitiert nach: Deutschland Kultur: Die Heldin zeigt es allen – so sollte es sein

Das Politische geht bei Sara Paretsky weit darüber hinaus. Sie widmet sich in ihren Krimis einer breiten Themenpalette, die von lokalen Problemen Chicagos wie der grassierenden Korruption bis zu weltweiten Herausforderungen reicht. Paretsky schreibt am Puls der Zeit – in ihrem 1982 veröffentlichten Krimi „Schadensersatz“ (“Indemnity Only”) genauso wie im 2024 im Argument Verlag / ariadne erschienenen Buch „Entsorgt“ („Overboard“). Mittlerweile umfasst die Warshawski-Serie 22 Bände, ihr bisher letzter Band „Pay Dirt“ ist in den USA 2024 erschienen.

Sara Paretsky: Pionierin feministischer Krimis

Es dauert, bis sich Paretsky dem Krimischreiben widmet und mit ihrer Figur Warshawski zur Bestsellerautorin wird. 1947 in Ames / Iowa geboren, wächst sie in Kansas auf und studiert Politikwissenschaft in Lawrence / Kansas. Anschließend wechselt sie nach Chicago und promoviert dort in Geschichtswissenschaft. Chicago: Diese Stadt wird ihre Heimat, diese Stadt prägt sie und Paretsky prägt das Bild dieser Stadt. Ihre Warshawski-Bücher sind Heimatkrimis im besten Sinne.

Foto vom Argument Verlag mit ariadne

Rund zehn Jahre lang arbeitet sie im Marketing für eine Versicherungsgesellschaft. Diesen Hintergrund nutzt sie in ihren Krimis, die Machenschaften der Versicherungs- und Finanzwelt sind ein zentrales Thema. Ihre Ermittlerin hat sich auf Aufträge in diesem Bereich spezialisiert, sie legt sich mich den Mächtigen in dieser Branche an. Paretsky schreibt bei diesen komplexen Sachverhalten mit großem Fachwissen und dennoch leicht lesbar. Sie ergeht sich nicht in Belehrungen, sie bindet ihre Expertise zurückhaltend und souverän in ihre Krimigeschichten ein.

1982 erscheint in den USA „Indemnity Only“, der erste Band der Warshawski-Serie. War es schwer für eine Frau im Männer-dominierten Krimibereich einen Verlag zu finden? Gegenüber der Frankfurter Rundschau nennt Paretsky ein überraschendes, anderes Hindernis:

Ich bekam einen Ablehnungsbrief, in dem stand: Ein Buch, das in Chicago spielt, ist nur für Leser im Mittleren Westen interessant und im Mittleren Westen lesen nicht genug Leute, damit eine Veröffentlichung sich lohnt.

Zitiert nach: Frankfurter Rundschau: Sara Paretsky: „Heute trägt jede fiktive Ermittlerin ein Trauma in sich“

Und weist im Guardian darauf hin, wie viel Glück sie hatte:

But I happened to do it as second-wave feminism was cresting and there was a need for this kind of character. And I started out when publishers were willing to let writers grow. My first book sold 3,500 copies; you’d never get a second with that now.

Guardian: Sara Paretsky interview: ‘I start each VI Warshawski book convinced I can’t do it’

Der Verlag fällt damals eine richtige Entscheidung. Sara Paretsky wird später zur Bestsellerautorin, diese Rolle nimmt sie bis heute ein.

Paretsky belässt es nicht bei ihren feministischen Krimis. Sie engagiert sich, sie vernetzt Krimiautorinnen, gründet die Organisation „Sisters of Crime“. Ihr Ziel: Schriftstellerinnen sichtbar machen, gemeinsam für ihre Interessen streiten, die feministische Perspektive auch in der Krimiwelt verankern.

Lohnenswerte Lektüre der ersten Warshawski-Krimis: US-Politik verstehen

Die Wahl Trumps 2016 hat viele verleitet, darin ein vollkommen neues Phänomen zu sehen. In der Tat: Trump agierte ungewöhnlich, riss auch politische Leitplanken der Republikaner wie das Bekenntnis zum Freihandel und die Abneigung gegen Russland ein. Dennoch: Wer nur das Neue sieht, versteht den Erfolg Trumps nichts. In vielerlei Hinsicht knüpfte und knüpft Trump an alte und tief verankerte Konfliktlinien der US-Gesellschaft an. Der Griff zu den ersten Warshawski-Krimis aus den 1980ern ist aufschlussreich. Es beschleicht einen der Eindruck: Manches hat sich verändert, vieles nicht.


Seit 2018 veröffentlicht der Argument Verlag mit ariadne die Warshawski-Krimis, beginnend mit dem Band „Kritische Masse“. Wer die früheren Bücher in englischer Sprache lesen möchte, findet bei Onlinehändlern wie Thalia sehr günstige E-Book-Ausgaben.(Werbelink zu Thalia)1


In einem der frühen Bände verwüsten radikale Abtreibungsgegner zum Beispiel eine Abtreibungsklinik. Dieser Konflikt ist nicht neu, er ist uralt. Die beiden Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber, auch heute noch. Interessant sind aber die Unterschiede. Paretsky lässt die Abtreibungsgegner in Chicago toben, heute existiert bei dieser Frage ein eindeutiger Stadt-Land-Konflikt. Die Großstädte sind die Hochburgen der Liberalen – Chicago allemal.

Paretsky thematisiert in ihren frühen Warshawski-Krimis viele weitere Fragen, die nichts an Aktualität eingebüßt haben. Der Band „Tödliche Therapie“, der im Original „Bitter Medicine“ heißt, beweist das eindrücklich. Die Gesundheitspolitik beschäftigte die US-Gesellschaft damals – die Gesundheitspolitik beschäftigt die Bevölkerung heute. Die akuten Mängel, die unübersehbaren Ungerechtigkeiten bestehen weiter, wenngleich die Demokraten die Situation mit Obamacare ein klein wenig entschärft haben.

Repräsentation von Minderheiten in der Politik und darüber hinaus: Auch dieses Thema taucht in den Warshawski-Krimis mehrmals auf. Heute ordnen dies viele der Identitätspolitik zu, häufig in abwertender Weise gemeint. Aber angesichts der Unterdrückung von Minderheiten – insbesondere von Indigenen und der schwarzen Community – kann der Drang nach Repräsentation nicht verwundern. Er ist auch keineswegs neu, erst in kein Phänomen des 21. Jahrhunderts – das ruft uns die Lektüre der ersten Warshawski-Bände in Erinnerung. Nur die Gegnerschaft zu diesem Repräsentationswunsch scheint sich radikalisiert zu haben, kulminiert in der Person Trump.

Tiefe Einblicke in Chicagos Geschichte und Gegenwart

Paretsky zeigt mit ihren frühen Warshawski-Krimis aber auch auf, dass sich so manches geändert hat. Zumindest in Chicago. Die Demokraten dominieren diese Stadt seit vielen Jahrzehnten – lange Zeit in zweifelhafter Weise. Die tief verwurzelte Korruption in der Stadt und auch im Bundesstaat ist eng mit den Demokraten verknüpft, vor allem mit bestimmten Netzwerken. Die Lokalpolitik – ein Abgrund!

Die ersten Bände der Warshawski-Reihe spielen in bewegten Zeiten: Überraschend gewann Harold Washington die demokratischen Vorwahlen für die Bürgermeisterwahl. Dies beruhte auf einer massiven Kampagne der Bürgerrechtsbewegung, die rund 100.000 Menschen aus der afroamerikanischen Community zur Wahlregistrierung bewegte. Zum Verdruss vieler weißer Demokraten, darunter einflussreiche Persönlichkeiten wie Edward Vrdolyak als Vorsitzer der Demokraten im Cook County.

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Die Abwehrhaltung war massiv: Diese weißen Demokraten unterstützten bei der Bürgermeisterwahl 1983 den republikanischen Gegenkandidaten Bernard Epton, heute in diesem Umfang unvorstellbar. Schwarz gegen Weiß an der Wahlurne: Washington gewann vorwiegend in der afroamerikanischen Community Stimmen, Epton die Stimmen der Weißen – parteiunabhängig. Nur wenige wichen ab, Paretskys Warshawski wäre sicherlich eine von ihnen gewesen. Washington siegte, sah sich aber mit erheblichem Widerstand im Stadtrat konfrontiert. Der demokratische Justizminister des Bundesstaats und andere Persönlichkeiten sabotierten die Arbeit Washingtons ebenfalls.

Paretsky, konsequent politisch, lässt das in ihre Bücher einfließen. Auch deswegen lohnt es sich, die frühen Bände zu lesen. Ein solches Aufbegehren weißer Demokraten gegen einen schwarzen Parteikollegen ist heute unvorstellbar. Allerdings: Chicago und Illinois sind weiterhin für Korruption bekannt. Vieles hat sich verändert, manches nicht.

Warshawski-Reihe: mehr als vier Jahrzehnte Top-Qualität

Krimileserinnen und -leser kennen das Problem: Sie freunden sich mit einer Krimireihe an, entwickeln eine Verbundenheit, kaufen einen Band nach dem nächsten: Und sehen sich zunehmend enttäuscht. Sie hoffen, dass es sich bei den letzten ein, zwei oder drei Bänden nur um ein Zwischentief handelt, dass die Autorin oder der Autor wieder zur alten Stärke findet. Häufig vergeblich.

Sara Paretsky ist das löbliche Gegenbeispiel. Die Warshawski-Serie umfasst inzwischen 22 Bände – und es gibt keinerlei Anlass, beim Lesen Enttäuschung zu empfinden. Paretsky schreibt weiterhin spannende Geschichten und begleitet die US- und Weltpolitik konsequent kritisch. In „Entsorgt“, 2022 unter dem Originaltitel „Overboard“ erschienen, lässt sie Warshawski zum Beispiel in einem Chicago nach der Trump-Regentschaft und der Corona-Pandemie ermitteln. Beide Ereignisse haben in der liberalen Metropole Spuren hinterlassen – keine positiven. Warshawski widmet sich auch fundiert und zugleich kunstvoll konzipiert der Vergangenheit, das beweist sie in „Kritische Masse“. In diesem Band erinnert sie an die US-Politik, im Zuge des Kalten Krieges Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit NS-Vergangenheit umgarnt zu haben.

Die Warshawski-Krimis von Sara Paretsky in Deutschland

Vier Jahre nach der Veröffentlichung von „Indemnity Only“ erfolgte 1986 die deutsche Erstausgabe unter dem Titel „Schadensersatz“. Dieser Krimi erschien im Piper Verlag, der die Reihe bis Anfang der 2000er dem deutschsprachigen Publikum zugänglich machte. Anschließend übernahm der Goldmann Verlag diese Aufgabe, 2011 erfolgte ein erneuter Wechsel. Der DuMont Verlag gab aber ausschließlich den Band „Hardball“ heraus. Danach ließen Verlage die Paretsky-Fans in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Stich, drei Bände blieben unübersetzt. Es ist dem Argument Verlag mit ariadne zu verdanken, dass dies nur vorübergehender Natur war. 2018 präsentierte der feministische Verlag den Warshawski-Krimi „Kritische Masse“, weitere Bände kamen und kommen hinzu.

Meine bisherigen Rezensionen zu Sara Paretsky, sich auf US-Ausgaben oder deutsche Ausgaben beziehend:

Killing Orders (Fromme Wünsche)


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