Dashiell Hammett: Der Malteser Falke
1930 erschien in den USA Dashiell Hammetts bekanntestes Werk „Der Malteser Falke“: Er trug mit diesem Detektivroman dazu bei, die Gattung des Hardboiled-Krimis zu etablieren. Zusammen mit Raymond Chandler gehört Hammett zu den wichtigsten Vertretern dieser Richtung.
Ein hartgesottener Privatdetektiv, der als Einzelgänger jenseits von moralischen Vorstellungen vornehmlich seine persönlichen Ziele verfolgt: Das ist das markante Kennzeichen der frühen Hardboiled-Kriminalliteratur. Dashiell Hammetts „Der Malteser Falke“ zeigt das beispielhaft auf.
Der Detektiv Sam Spade erhält Besuch von einer Frau, die sich um ihre Schwester sorgt. Miss Wonderly erzählt, dass ihre junge Schwester in New York einen gefährlichen Mann kennengelernt habe und mit ihm durchgebrannt sei. Nun seien die beiden zwar in San Francisco, sie erhalte aber keinen Kontakt. Der Auftrag klingt einfach: Sam und sein Partner Miles Archer sollen für ein ansprechendes Honorar diese Schwester finden. Den Auftrag übernimmt Miles – wenig später ist er tot.
Es entwickelt sich eine verwickelte Kriminalgeschichte mit vielen Lügen und Wendungen. Keiner handelt moralisch, alle streben nach ihrem eigenen Vorteil. Das gilt auch für den Anti-Helden Sam Spade. 2020 hat der Kampa Verlag Dashiell Hammetts „Der Malteser Falke“ (Link zu Thalia)1 in einer hochwertigen Hardcover-Ausgabe neu veröffentlicht.
Realistisch und zynisch: Jeder blickt auf sich
Die Unterschiede zu den damals beliebten englischen Whodunit-Krimis könnten größer nicht sein. Im selben Jahr erschien zum Beispiel Agatha Christies erster Miss-Marple-Krimi „Mord im Pfarrhaus“. In typischer Whodunit-Manier setzt sich Miss Marple auf die Spur der Täter und entlarvt sie später – die Ordnung ist wiederhergestellt.
Die Ordnung wiederherstellen? Nach Gerechtigkeit streben? Das interessiert weder Dashiell Hammett noch seine Hauptfigur Sam Spade. Der Mord an Miles Archer steht wie im klassischen Krimischema am Anfang, aber es folgt nicht die übliche Konzentration auf die Ermittlung und die Auflösung des Kriminalrätsels. Stattdessen nimmt die Geschichte einen ganz anderen Verlauf, Hammett treibt sie ohne Rücksicht auf die Konventionen der Kriminalliteratur voran. Gleich nach dem Mord folgt die Ablenkung: Ein Mann erscheint in Sam Spades Privatdetektei und bietet 5.000 US-Dollar, wenn er den Malteser Falken besorgt.
Irgendwie hängt diese kostbare Vogelskulptur mit dem ursprünglichen Fall zusammen. Genaues weiß Spade nicht, er jagt nun dem Malteser Falken hinterher. Den Mord an seinem Partner nimmt er zur Kenntnis, er steht nicht im Mittelpunkt seines Rechercheinteresses. Stattdessen muss er sich mit der Frau seines Partners auseinandersetzen, mit der er eine Affäre hat. Moralisch nicht schlimm, denn Miles Archer schien ebenfalls ein unmoralischer Zeitgenosse gewesen zu sein. Belastbare Beziehungen, ob Partnerschaft oder Freundschaft? Das gibt es bei Dashiell Hammett nicht.
Hardboiled-Krimis: „Der Malteser Falke“ als Standardwerk
Hammett zeigt in diesem Detektivroman die brutale Wirklichkeit der US-Großstädte in dieser Ära zwischen den beiden Weltkriegen. Realismus statt fiktive heile Welt: Das ist das Motto des Autors. Zu diesem Realismus gehört auch, dass Sam Spade und sein Partner Miles Archer ihrem Sexismus freien Lauf lassen. Frauen bewerten sie konsequent nach Aussehen – Miss Wonderly wird im Detektivbüro zum Objekt von Archer:
Seine kleinen braunen Augen wanderten mit kühnem, abschätzenden Blick von ihrem gesenkten Gesicht bis zu ihren Füßen und wieder hinauf zum Gesicht. Dann sah er Spade an und spitzte die Lippen zu einem lautlosen, anerkennenden Pfiff.
Dashiell Hammett: Der Malteser Falke, S. 13
Es dauerte rund fünf Jahrzehnte, bis Sara Paretsky mit Vic Warshawski ein feministisches Gegenbild in der Hardboiled-Kriminalliteratur entwarf. Im Vergleich dieser beiden Figuren wird ein weiterer Unterschied offensichtlich: Während Vic Warshawski gegen die Ungerechtigkeiten der Welt kämpft, interessiert sich Sam Spade für seinen persönlichen Vorteil. Spades Anwalt bringt dessen Charakter auf den Punkt:
Sie sind ein Hundesohn, Sammy.
Dashiell Hammett: Der Malteser Falke, S. 124
Fast alle Figuren zeichnet Dashiell Hammett unsympathisch, das gilt ausdrücklich auch für die Polizei. Der Polizist Dundy verhält sich gewalttätig – vermutlich ein realistisches Bild der Polizeiarbeit in einem San Francisco, das ein Sumpf von Gewalt, Kriminalität und grenzenlosem Egoismus ist.
Zu den wesentlichen Merkmalen von „Der Malteser Falke“ gehört auch die Art der Schreibweise: Hammett begleitet Sam Spade, lässt uns aber nicht an seinen Gedanken teilhaben. Nur dank seiner wörtlichen Reden und der Beschreibung seiner theatralischen Mimik und Gestik erahnen wir, was in ihm vorgehen könnte. Die raschen Stimmungswechsel und das Extrovertierte muten aus heutiger Sicht kurios an:
Seine Augen blickten hitzig und ernst unter der sich rötenden Stirn. Die geschwollene Stelle an seiner Schläfe war braunviolett.
Dashiell Hammett: Der Malteser Falke, S. 190
Spades Augen hatten alle Wärme verloren. Sein Gesicht war unbewegt und ausdruckslos.
Dashiell Hammett: Der Malteser Falke, S. 191
Ein freundliches Lächeln erhellte sein Gesicht und verscheuchte die dumpfe Ausdruckslosigkeit.
Dashiell Hammett: Der Malteser Falke, S. 191
„Der Malteser Falke“: Pflichtlektüre für Krimifans
Der legendäre Untergrund-Autor Jörg Fauser sah in Dashiell Hammett eines seiner Vorbilder und lobte den US-Amerikaner dafür, dass mit ihm der Kriminalroman in die gesellschaftliche Wirklichkeit und die hohe Literatur eingetreten sei. In der Tat: Hammetts Krimis setzten neue Maßstäbe, zugleich sind sie aus heutiger Sicht zeitgeschichtliche Dokumente. Wer anspruchsvolle Kriminalliteratur liebt, muss „Der Malteser Falke“ gelesen haben.
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„Der Malteser Falke“ von Dashiell Hammett bei Thalia kaufen.2 Oder im lokalen Buchhandel.
Diese Rezension basiert auf:
Dashiell Hammett: Der Malteser Falke, 1974, Diogenes Verlag (Taschenbuch), 240 Seiten
Weiterführende Lesetipps und Informationen:
- Zum 125. Geburtstag widmete der Deutschlandfunk Dashiell Hammett ein lesenswertes Porträt: „Vater von Sam Spade“
- In einem Interview mit der „Krimizeit“ wurde der Literaturkritiker und Krimispezialist Tobias Gohlis 2012 gefragt, welche drei Romane Krimifans unbedingt lesen sollten. Unter anderem nennt er von Dashiell Hammett „Rote Ernte“ – ein weiteres wichtiges Werk des US-Amerikaners. Auch „Rote Ernte“ hat der Kampa Verlag aus Zürich (Werbe-Link zu Thalia)3 neu aufgelegt.
- Insgesamt gibt es drei Verfilmungen von „Der Malteser Falke“. Die Verfilmung unter dem Titel „Die Spur des Falken“ mit Humphrey Bogart und Peter Lorre aus dem Jahr 1941 gilt wie der Roman als Meisterwerk.
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