Jake Lamar: Das schwarze Chamäleon
Heute kein Geheimtipp, sondern eine Bestätigung: Für seinen Kriminalroman „Das schwarze Chamäleon“ erhielt Jake Lamar Ende 2024 den Deutschen Krimipreis in der Kategorie „International“ – zu Recht!
Dieses Meisterwerk erschien im Original bereits im Jahr 2001, über zwanzig Jahre später veröffentlichte die Edition Nautilus die deutschsprachige Version. Das ist dem Hamburger Krimiautoren Robert Brack zu verdanken. Im Nachwort „Identifikation eines Phantoms“ schildert er, wie er eineinhalb Jahre nach dem unauffindbaren Schriftsteller gesucht hatte und ihn schließlich bei einem Krimifestival in Lyon fand.
Die Suche hat sich gelohnt: Jake Lamars Krimi mag zwei Jahrzehnte alt sein, er ist dennoch hochgradig aktuell. Nach der Wahl Trumps sowieso.
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Ein Mord – und eine irre Lebensgeschichte
Anfang der 1990er in Arden, Ohio: Dort arbeitet der Ex-Reporter Clay Robinette als Dozent, seinen ursprünglichen Journalistenjob in New York hat er aufgrund Betrugs verloren. Das ist aber sein kleinstes Problem, als sein prominenter Professorenkollege Reggie Brogus nächtens in seiner Küche auftaucht.

Reggie Brogus war eine Ikone des schwarzen Widerstands – ein radikaler, linker Aktivist, der im Kampf gegen die weiße Vorherrschaft Vergewaltigungen und Massenexekutionen für legitim hielt. Für einige ein Held, für viele ein Staatsfeind. Seine Ansichten haben sich aber gründlich gewandelt, nun provoziert er die schwarze Bürgerrechtsbewegung als rechter Aktivist. Heute wäre er im Team Trump, damals zum Ende der Ära Bush ähnelt er in seinen Auffassungen dem neu ernannten Verfassungsrichter Clarence Thomas.
Clarence Thomas war ein Typ nach Reggie Brogus’ Geschmack. Ein ehemals linker, schwarzer Konservativer.
Jake Lamar: Das schwarze Chamäleon, S. 172
Reggie Brogus ist ein Mann, der im Laufe seines Lebens viele Feinde gesammelt hat. Und jetzt liegt eine tote weiße Studentin in seinem Büro. Nachts beim Überraschungsbesuch bittet er den überforderten Clay um Hilfe.
Brogus vermutet seine Feinde hinter diesem Verbrechen: FBI, Black Panthers und mehr, viele verfügen über ein Motiv. Als Clay später die ermordete Jennifer Wolfshiem sieht und erkennt, weiß er aber auch, dass er selbst ins Visier der Polizei geraten kann. Er hatte eine kurze Affäre mit ihr.
Misogynie, überall
Jake Lamar lässt Clay Robinette diese Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählen. Er nimmt uns mit in eine Campus-Welt, die vom Ringen um Macht und Anerkennung sowie gesellschaftlichen Spannungen geprägt ist.
Und von Misogynie. Sexuelle Beziehungen mit Studentinnen: normal. Auch der vergleichsweise sympathisch gezeichnete Clay verhält sich problematisch, erst recht gilt das für Figuren wie Reggie Brogus, welche die toxische Männlichkeit auf die Spitze treiben. Aus einer vergangenen Epoche, so das Gefühl beim Lesen. Aktuell, so die Realität beim Blick auf Trump, Musk und Co.
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Es herrscht auf dem Campus eine männlich geprägte Atmosphäre, in der Affären mit Studentinnen bei anderen Männern für Respekt sorgen. Machtgefälle? Das hinterfragt niemand, auch Clay nicht. Als er die Affäre beendet, denkt er ausschließlich an sich.
Nun ist Jennifer Wolfshiem, die sich selbst Seeräuber-Jenny nannte, tot. Clay weiß, dass er sie nicht getötet hat. Aber war es vielleicht doch Reggie Brogus, den er politisch verachtet, aber irgendwie auch anziehend findet?
Auch wenn ich den aktuellen Reggie Brogus für einen rechtsradikalen Clown hielt, brachte ich ihm widerstrebend eine gewisse Achtung entgegen. Weil er ein viel aufregenderes Leben hinter sich hatte, als es mir jemals beschieden wäre. Er war ein Mann der Extreme.
Jake Lamar: Das schwarze Chamäleon, S. 179
Jake Lamars bitterböser Blick auf alle
Dank Jake Lamar tauchen wir auch tief in die Geschichte und damalige Gegenwart der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ein. Clay blickt anhand seiner Familie und seiner eigenen Politisierung zurück auf die Ermordung Martin Luther Kings und die Folgen. Als 11-Jähriger entdeckt er in der Bibliothek seiner Eltern das Pamphlet, das Reggie Brogus bekannt gemacht hatte:
LIVE BLACK OR DIE! War eine irre, blutrünstige Genozidvision, sexbesessen, oftmals unlogisch, eine rassistische Rachefantasie. Ich war begeistert.
Jake Lamar: Das schwarze Chamäleon, S. 38
Die Radikalisierung – später die Hinwendung zu rechtem Gedankengut: Reggie Brogus deckt zwei von mehreren Entwicklungsmöglichkeiten ab.
Clay verkörpert einen Afroamerikaner, der konsequent die Demokraten wählt, sich politisch aber ansonsten zurückhält. Er hat sich in seinem Leben eingerichtet, mit Job, Frau und Kindern. Seine Frau Penelope arbeitet dagegen als Diversity-Managerin, während seine Kollegin Kwanzi Authentica Parker beweist, dass Identitätspolitik keine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist.
Robert Brack analysiert diese Gegenüberstellung in seinem Nachwort präzise: Penelope stehe für den vom neoliberalen Geist durchdrungenen Diversity-Ansatz, Parker für eine naive identitätspolitische Begeisterung (S. 325).
Und wo steht Jake Lamar? Das wissen wir nicht. Unerbittlich führt er in diesem lesenswerten Kriminalroman alle vor.
Diese Krimirezension basiert auf folgender Ausgabe:
Jake Lamar: Das schwarze Chamäleon, Edition Nautilus (Taschenbuch), 2024, 328 Seiten
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