Kim Young-ha: Aufzeichnungen eines Serienmörders
Kim Young-ha gehört zu den bekanntesten und besten Autoren Südkoreas: Das beweist er mit dem 2013 im Original erschienenen Buch „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ eindrucksvoll. Es dauerte sieben Jahre, bis der auf japanische Kriminalliteratur und Belletristik spezialisierte Cass Verlag diesen Roman dem deutschsprachigen Publikum zugänglich machte. Im Heimatland kauften über 200.000 Menschen dieses Werk, in Deutschland freute sich Kim Young-ha über vielfältige Auszeichnungen. So erklomm „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ den ersten Platz der Krimibestenliste und ergatterte den dritten Platz des Deutschen Krimipreises 2020 in der Kategorie „International“.
„Aufzeichnungen eines Serienmörders“ von Kim Young-ha bei Thalia kaufen.1 Oder beim Verlag beziehungsweise beim lokalen Buchhandel.
Die gebundene Version erschien im Cass Verlag, das Taschenbuch im Goldmann Verlag und das E-Book als „CB Longplayer“ bei CulturBooks.
Aufzeichnungen eines Serienmörders: Dieser Titel beschreibt prägnant die Art dieses Kriminalromans. In Tagebuchform lässt uns der 70 Jahre alte Tierarzt Byongsu Kim an seinem Leben teilhaben. Kurze Einträge reihen sich an längere Rückblicke, Reflexionen und Schilderungen des Heute, wir erfahren viel über sein Leben und seine Gegenwart als alter Mann, der unter einer beginnenden Demenz leidet.
Aufzeichnungen eines Serienmörders: Was ist Realität?
Die kurios wirkende Bezeichnung als „pensionierter Serienmörder“ bedeutet bei Byongsu Kim, dass er vor rund 25 Jahren seinen letzten Mord begangen hat. Davor hatte er zahlreiche Menschen getötet, Frauen und Männer waren seine Opfer, sein Motiv: Lust am Morden. Ein schwerer Unfall hat sein Leben grundlegend verändert, die Mordlust verschwand. Stattdessen adoptierte er ein Mädchen, nun eine erwachsene Frau.
Diese Tochter ist in Gefahr. Byongsu Kim registriert einen Menschen in ihrem Umfeld, den er sofort einzuschätzen weiß: Es ist jemand von seinem Schlag, ein Wesensgleicher. Verantwortlich für eine Mordserie in der Region. Der pensionierte Serienmörder will seine Tochter retten und nach langer Pause ein letztes Mal morden – nicht aus Lust, sondern aus Notwendigkeit.
Cover inklusive Link zum Verlag
Der belesene alte Mann sieht sich zugleich mit einer beginnenden Demenz konfrontiert. In grandioser Weise lässt Kim Young-ha diese Problematik in die Tagebucheinträge einfließen: keine länglichen Beschreibungen, sondern geschickt eingeflochten und realistisch. Die zunehmende Vergesslichkeit, das Ankämpfen dagegen mit Notizzetteln und Tagebuch, die Wutausbrüche: Als Leserinnen und Leser leiden wir mit!
„Ständig kommt der Nachbarshund zu uns. Er kackt und pinkelt in den Hof. Wenn er mich sieht, bellt er. Das ist mein Haus, verdammter Köter! Selbst wenn ich einen Stein nach ihm werfe, läuft er nicht weg, sondern bleibt in der Nähe. Als Unhi von der Arbeit kommt, sagt sie, das wäre unser Hund. Das stimmt nicht. Warum lügt sie mich an?“
Kim Young-ha: Aufzeichnungen eines Serienmörders, S. 31
Wir leiden mit und fragen uns – im Verlaufe dieses Kriminalromans in zunehmendem Maße: Was stimmt eigentlich von dem, was Byongsu Kim in sein Tagebuch schreibt? Es erweist sich als genialer Kniff, dass sich der Autor für die Perspektive eines demenzkranken Täters entschieden hat.
Die politische Geschichte Südkoreas schimmert durch
Bei „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ handelt es sich um keinen explizit politischen Krimi, die Geschichte Südkoreas spielt dennoch eine Rolle. Kim Young-ha siedelt die Handlung in der Grenzregion zu Nordkorea an – aus dieser Region stammt auch der Autor.
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In seinen Rückblicken erwähnt der Serienmörder die konfliktreiche Geschichte vor und nach der Teilung Koreas mehrfach. Er war ein Profiteur: So glaubten die Behörden bei einem Mord, dass der Täter aus Nordkorea kam und nach der Tat wieder über die Grenze flüchtete. Der Mord als „Akt der nordkoreanischen Marionettenregierung“ (S. 65). Der tatsächliche Mörder – Byongsu Kim – konnte unbehelligt weitermorden.
Er begann das Morden in politisch bewegten Zeiten – und setzte es in politisch bewegten Zeiten fort. In seinen Aufzeichnungen erinnert er uns unter anderem an die April-Revolution 1960, an den Putsch 1961 und an die Protestbewegungen, die auch in den 1970ern und 1980ern das Land erschütterten. Byongsu Kim agierte in diesem Rahmen, aber blieb doch weitgehend unberührt davon:
Ich aber dachte nur ans Morden, Ich führte meinen eigenen Krieg gegen diese Welt. Ich tötete, floh und versteckte mich. Dann tötete ich wieder, floh und versteckte mich.
Kim Young-ha: Aufzeichnungen eines Serienmörders, S. 24
Kurzweilige und unterhaltsame Lektüre
Dieses Buch zeichnet sich durch seine ruhige Atmosphäre aus, es fesselt dennoch. Und irritiert: Der ehemalige Serienmörder reflektiert zwar sein Leben, hinterfragt aber keineswegs sein damaliges Morden. Im Gegenteil, er trauert dem abrupten Ende seiner Serienmörderkarriere nach dem einschneidenden Unfall hinterher. Die Opferperspektive blendet der alte Mann konsequent aus, der einsame Senior kennt keine Empathie. Außer für seine Tochter, aber auch hier zeigt sich eine ungewöhnlich distanzierte Beziehung. Die Hauptfigur scheint zu keinen intensiven sozialen Beziehungen fähig zu sein – und nie gewesen zu sein.
„Aufzeichnungen eines Serienmörders“ ist nicht nur ein Kriminalroman aus Täterperspektive, sondern auch ein Buch, das plastisch die Einsamkeit eines Menschen schildert. Und all dies mit einer ansprechenden Mischung aus Witz und Melancholie, kurzweilig auf knapp 150 Seiten zu lesen.
Diese Krimirezension basiert auf folgender Ausgabe:
Kim Young-ha: Aufzeichnungen eines Serienmörders, 2020, CulturBooks (E-Book), 152 Seiten
Weiterführende Lesetipps und Informationen:
- Manchmal lohnt sich der Blick in Archive, um ein Gefühl für die Vergangenheit zu erhalten. Der Serienmörder streift in seinen Aufzeichnungen zum Beispiel den Putsch in Südkorea 1961, hier ein Spiegel-Artikel aus dem Mai 1961.
- Neben der zwischenzeitlichen Erstplatzierung auf der Krimibestenliste 2020 und dem dritten Platz des Deutschen Krimipreises 2020 (international) erhielt Kim Young-ha eine weitere Auszeichnung: den Preis der Hotlist 2020. Mit diesem Preis honoriert die Jury Bücher unabhängiger Verlage.
- Ende 2023 stellte der Cass Verlag aus Bad Berka leider seinen Betrieb ein. Ein Verlust für alle Fans japanischer Kriminalliteratur – und südkoreanischer Kriminalromane.
- Das E-Book hat der Hamburger Verlag CulturBooks veröffentlicht. Der Verlag von Zoë Beck und Jan Karsten präsentiert neben eigenen Büchern wie den Krimis von Frank Göhre die lizenzierten E-Book-Versionen von Krimis und Romanen aus unterschiedlichen anderen Verlagen. Erwähnung verdient die schlichte, aber prägnante Cover-Gestaltung. Eine ausführliche Vorstellung des CulturBooks Verlags habe ich hier veröffentlicht.
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