Robert Brack: Schwarzer Oktober

Robert Brack: Schwarzer Oktober

Jüngst hat der linke Hamburger Verlag Edition Nautilus um Unterstützung gebeten. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für unabhängige Buchverlage fällt es dem Verlag schwer, das Herbstprogramm zu finanzieren.

Eine Buchwelt ohne Edition Nautilus? Das wäre ein schwerer Verlust. Auch für Fans anspruchsvoller Kriminalromane. Das Krimiprogramm des Verlags ist zwar überschaubar, aber voller Krimiperlen. Das beweist „Schwarzer Oktober“ von Robert Brack exemplarisch.

Der Autor Robert Brack überzeugt seit vielen Jahren mit seinen in Hamburg verwurzelten Krimis, die tief in die Geschichte der Hansestadt eintauchen lassen. Vor wenigen Monaten habe ich „Dammbruch“ über die Hamburger Sturmflut rezensiert, erschienen im Ellert & Richter Verlag. Anlässlich der Unterstützungs- und Spendenaktion für die Edition Nautilus mache ich nun mit „Schwarzer Oktober“ weiter.

Edition Nautilus

Auch in diesem Buch widmet sich Robert Brack einem bedeutenden Ereignis der Hamburger Stadtgeschichte: dem Hamburger Aufstand im Oktober 1923. Im Gegensatz zur Sturmflut ist dieses Ereignis aber weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Zu Unrecht: Wer sich mit diesem tragischen und zugleich sonderbaren Aufstand beschäftigt, erfährt viel über die damalige politische Situation, über Kommunismus und Sozialdemokratie, über revolutionäre Hoffnungen und die zentralistische Lenkung der KPD aus Moskau.

Hamburger Aufstand aus Sicht einer jungen Kommunistin

Bei diesem Krimi hat sich Robert Brack für die Tagebuchform entschieden. Eine hervorragende Idee: In kurzen und längeren Einträgen lässt er uns an der Gedankenwelt und Geschichte der minderjährigen Kommunistin Klara teilhaben. Diese Form entwickelt einen Sog, das Buch katapultiert Leserinnen und Leser in die kommunistisch und sozialdemokratisch geprägten Arbeiterviertel Hamburgs.

Klara haust im Kellerloch einer Mietskaserne, entflohen ihrem sozialdemokratischen Vater. Dieser hatte Klara, die sich zu Frauen hingezogen fühlt, beim Küssen mit der Klavierlehrerin erwischt. Die Folgen waren körperliche Gewalt und die Flucht Klaras, die noch nicht die damals gültige Volljährigkeitsgrenze von 21 erreicht hat.

Sie schlägt sich durchs Leben, lässt sich von einer Frau namens Goldlöckchen aushalten, kann die Alkohol-Affine aber nicht länger ertragen. Das mit Schimmel durchsetzte Kellerloch kann sie sich leisten, auch wenn das Zahlen der Miete immer schwerer fällt. Klara geht es wie vielen Arbeiterinnen und Arbeiter in dieser von Inflation geprägten Krisenzeit, die Stimmung ist explosiv. Zwischen Depression und Selbstaneignung (Diebstahl), die von der Kommunistischen Partei als individuelles Vorgehen abgelehnt wird.


Besucht auch gerne meinen Steady-Blog „Hoffnung, doch. Einblicke in den anderen Osten“. Dort berichte ich über Ostdeutschland jenseits der AfD und Co. Kürzlich habe ich die Alte Bäckerei in Großhennersdorf vorgestellt: Philadelphia in Großhennersdorf.


Auch Klara stiehlt, aus der Not heraus. Als sie fast erwischt wird, hilft ihr Jakob. Ein junger Mann, der das Prinzip der individualistischen Aneignung zusammen mit seiner Freundin Selma konsequent verfolgt. Jakob übernachtet bei Karla, zieht ihr Kleid an, gibt ihr einen Gute-Nacht-Kuss. Dieser Krimi von Brack erzählt nicht nur von Armut und Revolution, er schildert auch eindrücklich die Lebenswelten von all jenen jenseits der Heteronormativität. Ob kommunistisch, sozialdemokratisch oder konservativ: Homosexualität und Co. stoßen in der gesamten Gesellschaft auf Ablehnung.

Mit Ablehnung sehen sich auch Prostituierte konfrontiert, in Hamburg als Kontrollmädchen bezeichnet. Das gilt zumindest dann, wenn sie ihre Stimme erheben und für ihre Rechte kämpfen. Die feministische Kommunistin Ketty Guttmann widmet sich diesen Frauen und verschafft ihnen mit ihrer Zeitung „Der Pranger“ Gehör. Klara lernt Ketty kennen und ist begeistert:

„Wenn alle Frauen so wären wie Ketty, wäre die Liebe befreit?“

Robert Brack: Schwarzer Oktober, S. 25

Freie Frauen? Befreite Liebe? Der „Schnitter“ zeigt in extremer Form, was er von Frauen jenseits der konventionellen Bürgerlichkeit hält. Er ermordet Frauen, wenn sie nicht seinen moralischen Vorstellungen entsprechen. Hierfür nutzt der Massenmörder ein selbst gebautes Stichwerkzeug, mit dem er die inneren Organe verletzt. Die Opfer bemerken die Tat nicht und brechen erst mit Verzögerung tot zusammen.

Und jäh durchzuckte mich eine Angst um sie, dass der Schnitter seine Tat doch noch vollenden könnte. Denn die Schnitter dieser Welt, seien es nun Offiziere oder Bibliothekare oder sonst was, hassen nichts so sehr wie die Provokation des unbändigen Lebens.

Robert Brack: Schwarzer Oktober, S. 32

Schwarzer Oktober : Brack schildert das Debakel

Klara ist zu Beginn ihrer Tagebuchaufzeichnungen passives Mitglied der KPD und steigt dann in die Parteiarbeit ein. Sie kämpft leidenschaftlich für eine gerechte, eine andere Welt und erhält rasch verantwortungsvolle Aufgaben in der Partei. Es zeigt sich aber schnell, dass sie mit ihrer Haltung und ihrem Leben nicht so recht in die Partei passt. Exemplarisch ein Dialog mit Ernst, einem wichtigen Anführer im Bezirk Barmbek:

„Wir brauchen Disziplin!“

„Werden wir tanzen nach der Revolution?“

Da schaut er mich ein paar Sekunden lang an, mit unendlich traurigem Blick.“

Robert Brack: Schwarzer Oktober, S. 52

Die wirtschaftliche, soziale und politische Lage spitzt sich zu. In der Bevölkerung brodeln Wut und Verzweiflung, die KPD will zum Schlag ausholen. Was viele damals nicht wissen: Die Pläne stammen aus Moskau. In „Schwarzer Oktober“ symbolisiert die Genossin Nosch aus Petrograd diese Tatsache. Ihr gehört die Macht, Brack zeichnet die russische Kommunistin kalt und gefährlich. Ein gravierender Kontrast zu Klara, die sich nach Lebensfreude sehnt und sie in diesen Monaten zumindest zwischenzeitlich ausleben kann.

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Brack schildert noch viel mehr: Er zeigt plastisch, wie schlecht vorbereitet dieser reichsweit geplante Aufstand war. Die deutschen Kommunisten haben gegenüber Moskau mit schlagkräftigen Proletarischen Hundertschaften geprahlt – das war eine tollkühne Übertreibung. Die Tagebucheinträge Klaras dürften näher an der Wahrheit liegen als die damaligen Annahmen in Moskau. Kaum Erfahrung, nahezu keine Waffen: Das waren die Voraussetzungen für den Hamburger Aufstand am 23. und 24. Oktober 1923.

Und es kommt noch schlimmer: Der flächendeckende Aufstand wird kurzfristig abgesagt. Auf einer Betriebsrätekonferenz in Chemnitz erkennen die Kommunisten ihre isolierte Lage und lassen die Pläne fallen. Bis heute ist unklar, ob die Hamburger Genossen diese wichtige Entscheidung nicht mitbekommen oder ob einzelne Akteure auf eigene Faust gehandelt haben.

Kleine Trupps überfallen Polizeireviere und beschaffen sich Waffen. In Barmbek bauen sie Barrikaden auf. Schnell zeigt sich, dass der Aufstand zum Scheitern verurteilt ist. Klara überlebt, aber nicht alle überleben. Und die Anführer der Kommunistischen Partei verkrümeln sich.

Das Tagebuch springt nun – in den Oktober 1924. Das Nachspiel des Schwarzen Oktobers. Wie geht es Klara, engagiert sie sich noch in der Kommunistischen Partei? Und was ist mit Jakob, Selma, Ketty und Ernst? Und dem Schnitter?

Robert Bracks „faktenstarke Fiktion“ (Tobias Gohlis)

Die Stärke dieses Krimis und vieler weiterer Brack-Bücher liegt darin, dass der Hamburger Krimiautor eine fiktive Geschichte präzise entlang historischer Fakten erzählt. Wer „Schwarzer Oktober“ liest, führt sich nicht nur eine spannende Geschichte über den Hamburger Aufstand und als Nebenerzählung den „Schnitter“ zu Gemüte. Leserinnen und Leser erweitern ihr historisches Wissen.

In „Schwarzer Oktober“ geht Robert Brack noch einen Schritt weiter: Mit Ketty Guttmann bindet er eine real existierende Figur ein, ihre Zeitung „Der Pranger“ gab es ebenfalls. Die freiheitlich gesinnte Kommunistin zweifelt nach einem Russlandbesuch an dem Kommunismus Moskauer Art, wendet sich syndikalistischen Ideen zu und erfährt, mit welch brachialer Gewalt die Kommunistische Partei gegen Abweichlerinnen vorgeht – auch hier erfindet Brack zwar die konkreten Begebenheiten, gibt aber präzise die historische Wahrheit wieder.

Ein Buch, das bereichert, erschüttert und begeistert. Ein Kriminalroman, den die Jury der Krimibestenliste Anfang dieses Jahres zu Recht mit dem dritten Platz belohnte!

„Schwarzer Oktober“ von Robert Brack bei Thalia kaufen.1 Oder in der örtlichen Buchhandlung beziehungsweise direkt bei der Edition Nautilus in Hamburg.

Diese Krimirezension basiert auf folgender Ausgabe:

Robert Brack: Schwarzer Oktober, 2023, Edition Nautilius (E-Book), 160 Seiten

Unterstützung für die Edition Nautilus

Die Lage für unabhängige Verlage ist schlecht, für manche dramatisch. Vor einigen Tagen wendete sich das Kollektiv der Edition Nautilus an die Öffentlichkeit und bat um Unterstützung. Verlegerin Franziska Otto schilderte im NDR-Interview die prekäre Situation:

Wir stehen im Moment bei der Hälfte des Umsatzes, den wir im Vorjahr zu diesem Zeitpunkt hatten. Zum Beispiel ist es so, dass drei von vier von uns Kollektivmitgliedern, die wir den Verlag führen – also die, die es sich leisten konnten – im Juli auf ihr Gehalt verzichtet haben.

Es ist schade, dass ein Verlag wie die Edition Nautilus um Geld bitten muss. Dieser Buchverlag ist fester Bestandteil der intellektuellen Linken, wurzelnd in der 68er-Bewegung und einem undogmatischen Denken verpflichtet. So finden sich im Verlagsprogramm viele Sachbücher und Romane, die auf anarchistischen Positionen beruhen. Ein Krimi von Robert Brack mit Ketty Gutmann als wichtige Figur? Passt perfekt in das Profil der Edition Nautilus!

Edition Nautilius braucht Unterstützung.

Aus Sicht der anspruchsvollen Fans von Kriminalliteratur hat der Hamburger Verlag so manches Highlight zu bieten. Für das Buch „Tannöd“ gewann die Autorin Andrea Maria Schenkel 2007 den Deutschen Krimipreis, der französische Autor Jérôme Leroy verzeichnete diesen Preis 2018 für „Der Block“. Robert Brack hatte diesen Preis bereits 1996 entgegengenommen – für seinen in der Edition Nautilus veröffentlichten Thriller „Gangsterbüro“.

Einige Bücher von Matthias Wittekindt und Léo Malet sind ebenfalls Bestandteil des Krimiprogramms, dazu Krimis von Jake Lamar, Max Bronski und Doris Gercke. Erwähnung verdient auch die Krimireihe Kaliber .64, die dünnen Bände mit 64 Seiten kosten jeweils 4,90 Euro. In dieser besonderen Reihe haben unter anderem Bernhard Jaumann, Wolfgang Schorlau, Friedrich Ani und Frank Göhre veröffentlicht.

Die Edition Nautilus unterstützen und sich zugleich mit lesenswerter Kriminalliteratur belohnen? Nichts leichter als das!

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